Mail vom 13.10.2020: Ich bin Hausärztin in einer hessischen Stadt. Was mich ärgert ist, dass viele Ämter und Behörden noch immer keinen direkten Kontakt zu Menschen haben. Wenn ein Pflegegrad beantragt wird ist es üblich, dass der Medizinische Dienst eine Pflegebegutachtung in der Wohnung des Antragstellers vornimmt und auch die Wohnung dahingehend prüft, oft Hilfsmittel notwendig sind wie Badewannenlifter, Toilettenstuhl oder Rollator. Seit Beginn der Krise entscheidet der MDK per Aktenlage, was keine sorgfältige Arbeit zulässt. Vielfach wurden die Patienten gebeten, sich ein Attest vom Hausarzt ausstellen zu lassen, was ich abgelehnt habe, eine Pflegebegutachtung gehört nicht zu meinen Aufgaben. Ich mache Hausbesuche, die Pflegedienste sind seit Beginn der Krise unterwegs und mir fehlt hier eine Begründung. Ein zweites Ärgernis ist die Suchtberatungsstelle des Diakonischen Werks, mit der ich eng zusammenarbeite, da ich viele Suchtpatienten betreue und auch Methadon substituiere. Normalerweise kommt ein Suchtberater einmal wöchentlich in meine Praxis, um Patienten psychosozial mitzubetreuen und bei Anträgen z.B. für Entwöhnungstherapien zu helfen. Seit Mitte März ist es ihm von seinem Arbeitgeber verboten, meine Praxis aufzusuchen angeblich aus Infektionsschutzgründen. Mein Team und ich waren die ganze Zeit für unsere Patienten da und sind nun auch Ansprechpartner für ausser-medizinische Belange, da die zuständigen Stellen keinen direkten Kontakt zulassen, nur telefonisch erreichbar sind und alles online beantragt werden muss. Meine alten und kranken Patienten sind damit überfordert und werden alleingelassen. Eine meiner Mitarbeiterinnen hat eine Sozialarbeiterfunktion übernommen, weil wir versuchen Defizite aufzufangen. Noch eine Stellungnahme zu den Risikogruppen, die abgesehen von dem Vorhandensein von chronischen Erkrankungen nach dem Alter definiert wurden. Menschen ab 65 J. sollten zu Hause bleiben und Kontakt zu anderen Menschen meiden, viele haben noch immer Angst und verlassen ihre Wohnungen nur, wenn es ein muß. Ich bin 65 Jahre alt. Im März erhielt ich ein Schreiben des Gesundheitsamts, in dem alle berenteten Ärzte gebeten wurden, sich zur Verfügung zu stellen. Da ich ohnehin tätig bin, betraf mich dies nicht. Aber was ist mit der Gleichbehandlung? Warum sind Lehrer, Sozialarbeiter, Suchtberater, Krankenkassenmitarbeiterab 60 Jahren u.s.w. so schützenswert, dass sie Kontakte meiden sollten, Ärzte aber nicht.