Mail vom 30.07.2020, 19:03 Uhr:

zuallererst – ein riesengroßes Danke für Eure Arbeit!

Meine größten Sorgen drehen sich um die Lage der Kinder und ich habe gerade gesehen, dass genau das morgen das Thema sein wird.

Mir ist es eiskalt den Rücken runtergelaufen, als es hieß die Kitas und Schulen öffnen nicht nach den Osterferien. Mir war direkt klar, dass wir Kinder, die mit Gewalt und Missbrauch konfrontiert sind, nicht nur im Stich lassen, sondern regelrecht aufopfern. Auch Kinder, die bis jetzt keine Gewalt erfuhren, könnten nun durch die Umstände, die ihre Eltern überfordern, zu Gewaltopfern werden. Ich rede nicht nur von Vätern. Das Thema ist tabuisiert, aber Mütter werden ebenfalls gewalttätig gegenüber Kindern. Säuglinge, die geschüttelt werden, sind nur ein Beispiel. Psychische Gewalt durch die Überforderung und Überlastung hat mit hoher Sicherheit ebenfalls einen Anstieg erfahren. Was ist mit erweiterten Suiziden in Familien? Die Weltuntergangsstimmung, die medial verbreitet wurde, könnte psychisch labile Eltern dazu verleitet haben ihre Kinder von dieser Welt zu „erlösen“. Auch die Internet und Spielabhängigkeiten müssen gestiegen sein, da Eltern, um Home Office auszuüben, Kinder „ruhig stellen“ mussten. Auch Cyber-Mobbing hat sicherlich einen Anstieg erfahren.

Junge Menschen haben bis heute keine Möglichkeit ihre Energie in Clubs, auf Festivals und beim Feiern auszuagieren, was das Gewaltpotenzial steigen lässt.

Ich habe in der Quarantäne die Nachrichten verfolgt und darauf gewartet, wann man endlich eine Lösung, genauso wie andere Maßnahmen, konsequent durchsetzt. Z.B. das Lehrer/Erzieher/Jugendamtsmitarbeiter Hausbesuche regelmäßig durchführen und sich des Wohlergehens der Kinder vergewissern müssen. Doch nein. Kinderschutz ist in unserem Land nicht systemrelevant.  Es hieß lediglich, Nachbarn sollen ein Auge auf diese Kinder haben. Das war so erbärmlich, so unfassbar, so verantwortungslos! Das war ein unverzeihliches Verbrechen an diesen Kindern, ihrer Würde und ihren Menschenrechten und der Staat muss dazu zu Verantwortung gezogen werden, damit so etwas nie wieder und schon gar nicht diesen Herbst wieder geschieht. Der letzte Tropfen war das interne Strategiepapier des Innenministeriums. Das ist und bleibt unfassbar. Auch dafür muss der Staat zur Verantwortung gezogen werden.

Wurzeln und Flügel sollen wir unseren Kindern geben. Ihre Wurzeln liegen aber nun in Angst vor dem Leben und vor einander, in Schuldgefühlen (den Tod von anderen zu verursachen) und teilweise im unbeschreiblichen Leid, den wir ihnen zugefügt haben. Ihre Flügel haben wir gestutzt. Sie dürfen nicht alleine auf Toilette, sich nicht einander nähern, das Essen nicht selbst schöpfen, sind von alten Kita-Freunden getrennt, gewöhnen sich an Masken und geschlossene Türen u.s.w.. Sie müssen ihre Stück für Stück entwickelte Selbstständigkeit, auf die sie Stolz sind, aufgeben, sich unterordnen, als wären sie in einem Internat, auf viele Selbstverständlichkeiten verzichten und sich zurückentwickeln zum Zustand der Abhängigkeit und Unmündigkeit. Sie müssen lernen in dieser verdrehten Welt, in der Distanz – Leben rettet und Nähe, Berührungen im Umkehrschluss Leben gefährden, töten, zurecht zu kommen. Werden unsere Kinder noch erste Hilfe leisten oder noch öfter wegsehen und sich noch weniger für Menschen in Not interessieren, als wir es tun? Nicht einmal bei HIV ist man soweit gegangen, solche Formulierungen zu benutzen.

Heute, nachdem so viel für die Integration von Minderheiten getan wurde, dafür, dass Menschen einander begegnen, sich näherkommen und ihre Berührungsängste ablegen, werden, pünktlich zum Jubiläum der Wiedervereinigung, Mauern zwischen allen und jedem errichtet.