Mail vom 02.04.2020, 10:39 Uhr: Ich bin sehr froh, dass Sie sich des Themas annehmen und so gut recherchieren wollen. Ich moechte Ihnen hier 1. Informationen aus Hessischen Krankenhaeusern geben und 2. auch meine Ueberlegungen mit Ihnen teilen.

In meinem 1. Beruf bin ich Krankenschwester (aus der Pneumologie) und als der Pflegenotstand nach Einfuehrung des DRG-Systems 2003 letztlich so gegen 2008/2009 seinen Hoehepunkt fand, beschloss ich nochmal zu studieren (Sozialpaedagogik, nebenbei [bei] der Charite mit 50% weiter berufstaetig). Folge des Notstands war eine unglaubliche Buerokratisierung der Pflege und eine Privatisierungswelle der Krankenhaeuser und die Entstehung vieler Fachzentren/Fachkliniken. Die Arbeitsbedingungen fuer die Pflege hat sich innerhalb eines Jahrzehnts unsaeglich verschlechtert- Berichte ueber Ueberlastung, patientengefaehrdende Zustaende, „gefaehrliche“ Pflege, die Gefahr der nosokomialen Keime (Multiresistenzen), die Risiken von Medikamentenwechselwirkungen etc. habe ich blitzlichthaft zwar in der Presse wahrgenommen- aber eine politische Reaktion darauf oder ein Aufhorchen der Gesellschaft konnte ich nicht feststellen. Insofern war ich froh, nicht laenger Teil dieses kaputten Systems sein zu muessen- habe aber nie den Anschluss ans Gesundheitssystem verloren durch ehemalige Kollegen und Familie, die weiter dort berufstaetig sind.

Informationen aus meinem Bekanntenkreis.

Es handelt sich um eine Hessische Klinik der Maximalversorgung (ich moechte nicht zu sehr ins Detail gehen): Eine enge Freundin von mir ist dort als Intensivfachkraft aktuell in Elternzeit – ihre Kollegen berichten, dass die Auslastung der Betten auch heute noch unveraendert hoch ist und derzeit Anstrengungen stattfinden, 6 weitere Betten fuer Beatmungen zur Verfuegung zu stellen: nur, wer soll die zusaetzlichen Betten betreuen? Es gibt nicht genug Fachpersonal, das die Beatmungsmaschinen bedienen koennte- also wo hernehmen? Interna aus der entsprechenden Fachweiterbildung: „Eine schlechte Beatmung ist schaedlicher als gar keine“(!!!), Die Aufstockung dieser Betten zieht Arbeitskraft aus dem taeglichen Geschaeft ab…

Meine Freundin wurde letzte Woche angeschrieben, dass Sie sich fuer den „Ernstfall“ bereithalten sollte und ausserdem ihre Nebentaetigkeit in einer (…)klinik nicht weiter ausfuehren darf. Sie ist begleitet von der Angst, ploetzlich zum Dienst quittiert zu werden und ihre 13 Monate alte Tochter ploetzlich erstmals in Fremdbetreuung (Notbetreuung) geben zu muessen – z.B. um nicht speziell geschultes Personal in Beatmung zu schulen

Ich moechte an dieser Stelle noch 2 Dinge anmerken:

1. dass die Beatmung von Patienten eine der am hoechsten vergueteten medizinischen Massnahmen nach dem Fallpauschalen- und Behandlungsmassnahmen- Katalog des DRG-Systems ist (Das Abrechnungs bzw. Finanzierungssystem ALLER Haeuser) und es daher sicher auch ein wirtschaftliches Interesse der Kliniken gibt, ihre zusaetzlich geschaffenen Betten auch zu belegen!

und 2. dass ploetzlich eine Personengruppe als beatmungspflichtig diskutiert wird, von der man bis vor kurzem in der Intensivmedizin eine grosse Einigkeit darueber empfand, dass es Patientengruppen gibt, die von einer Beatmung medizinisch nicht profitieren – das sind vor allem sehr alte Patienten (>80) UND Patienten mit mehr als einer chronischen weit fortgeschrittenen Grunderkrankung -also alle die Patienten, die auch hauptsaechlich vom CORONA-Virus eine Gefaehrdung zu befuerchten haben.

Eine Beatmung ist ein massiver Eingriff und geht zu Beginn (ob mit oder ohne Traecheostomie) immer mit einer starken Sedierung einher (kuenstliches Koma), dies birgt immer die Gefahr des Herz-Kreislauf-Versagens und/oder von Organschaedigungen, die massiv sein koennen durch die starke, hochdosierte Dauermedikation die unter Beatmung notwendig ist – die Abwaegung, ob das sinnvoll ist oder nicht eher eine gute Schmerz und Beruhigungsmedikation und ein friedliches Sterben im Rahmen des gewohnten Umfelds, mit der Moeglichkeit, sich noch zu verabschieden, noch einmal das Lieblingsessen zu schmecken usw. ist daher taegliches Brot in der Intensivmedizin – gilt aber ploetzlich unter dem Motto „jedes Leben zaehlt“ als unethisch und die Triage-Szenerie entspringt wohl eher diesem ploetzlichen Beatmungswahn als echter medizinisch vernuenftiger Abwaegung…

Das Schreien nach Beatmungsmoeglichkeiten koennte so daher sogar profitgetrieben zum Nachteil vieler in dieser Patientengruppe werden…

Es gibt informelle Ueberlegungen des [Krankenhauses], ein Hotel anzumieten fuer Pflegekraefte, die dann 12-Stunden-Dienste machen sollen und nicht nach Hause duerfen wegen der Ansteckungsgefahr der Familien….wo kommen wir denn da hin??? Das 3-Schicht-System wird in 2 Schichten veraendert und seine Familien sieht dann niemand mehr….es ist zum Verzweifeln, was hier ploetzlich moeglich erscheint unter dieser vermeintlichen Bedrohungslage..

Ein enges Familienmitglied arbeitet ebenfalls in einer mittelgrossen, nordhessischen Klinik als Intensivfachkraft. Sie ist aktuell [fortgeschritten] schwanger und MUSS weiterarbeiten laut Bertriebsarzt. Der Versuch, sich dann alternativ von ihrer Gynaekologin krank schreiben zu lassen, endete mit dem Statement: das sei leider derzeit unmoeglich, da man ja nicht alle systemrelevanten Berufsgruppen praeventiv zu Hause lassen koenne….!!!! Auch dazu moechte ich anmerken, dass laut RKI Schwangere als Immunsupremmiert gelten und daher in die Riskogruppe einer Corona-Infektion zaehlen….

Die Betten sind auch dort nicht voll belegt, bisher gab es nur 6 bestaetigte Faelle, die keinen Impact auf das normale Stationsgeschehen hatten- was aber einen Impact hat, ist, dass auch dort 8 zusaetzliche Beatmungsbetten geschaffen werden aktuell samt Umraeumungen etc .-UND (jetzt wird es richtig absurd): die Intensivkraefte dort im Spaetdienst mit Laminierfolie, Wattierungen von Beatmungsschlaeuchen und Duck-Tape selber Schutzmasken basteln, um die anderen Intensiv-Einheiten mit Ausruestung zu versorgen (entsprechende Bilder erhielt ich per Handy und dachte zunaechst, das sei ein Scherz der Pflegekraefte….aber es ist ernst gemeint auf Anordnung der Pflegedirektion.

Ich habe gesehen und erlebt wie diese Gesellschaft mit Alten und Kranken die letzten 15 Jahre verfahren ist und wundere mich doch sehr ueber diese ploetzliche Dankbarkeit der Gesellschaft und den Willen, die „Alten“ unter allen Umstaenden zu schuetzen…

Die Systemrelevanten Berufsgruppen  wurden all die letzten Jahre ausgebeutet und nicht gehoert und duerfen auch dieses Mal, in der „Krise“ einmal mehr dazu herhalten, um unsaegliche Umstaende mit persoenlichem Einsatz und auf eigenes Risiko einigermassen glattzubuegeln…es ist eine Farce.

Zum Schluss moechte ich nur noch erwaehnen, dass auch ich mit meinen Kindern zu Hause von Angst geplagt bin…ich schlafe schlecht, da ich sehr wohl die Machtverschiebung spuere, die derzeit stattfindet- weg von Buergerrechten und freiheitlichen Werten hin zu mehr Staatsmacht und die grosse Frage ist: Warum das alles? Wofuer braucht der Staat ploetzlich so viele neue Befugnisse? Nach meinem Dafuerhalten hat das nichts mit einer echten Bedrohung durch den neuen Virus zu tun…