Mail vom 31.03.2020, 12:06 Uhr:
Ich habe eine Hausarztpraxis im Großraum Ulm, betreue im Quartal mehr als 1000 Patienten unterschiedlichster Altersklassen und ich betreue auch ein Pflegeheim.
Momentan ist die Situation hier so, das die Kliniken hier im Umkreis genug freie Kapazitäten haben. Patienten, die ich stationär eingewiesen habe, berichten von vielen leerstehenden Zimmern und Betten und Ambulanzen. Ich habe auch Kollegen, die in der Klinik tätig sind, diese bestätigen mir das.
Trotzdem wurde ein  herzkranker Patient (hohes Lebensalter aber bis dato alleinlebend und sein Häuschen samt  Garten noch selbst versorgend) nicht mehr lege artis behandelt und nach wenigen Tagen „rausgeschmissen“. So empfand es der Patient und die Tochter. Ich habe noch versucht, seinen Zustand ambulant zu managen, gestern ist er aber zuhause verstorben.
Heute berichtete mir eine Patientin, das man ihren nächsten Termin für die Chemotherapie auf unabsehbare Zeit verschoben hat.
Außerdem war heute ein Patient bei mir, der wegen Durchblutungsstörungen am Bein operiert wurde. Auch hier wäre eine gefäßchirurgische Kontrolle jetzt fällig gewesen, aber wurde auch bis auf weiteres verschoben. So ein Gefäß-Stent kann sich auch wieder verschließen, daher die Notwendigkeit dieser Kontrolle.
Auch andere Tumorpatienten, die unter einer speziellen Therapie stehen, mit deren Nebenwirkung ich als Allgemeinärztin nicht wirklich vertraut sind, kommen jetzt zu mir, weil ihre Termine in den entsprechenden Abteilungen abgesagt wurden.
Das sind nur Beispiele, ich könnte die Liste ewig fortsetzen.
Seit 2 Wochen heißt es jetzt, das sei „die Ruhe vor dem Sturm“. Wie lange warten wir noch auf den Sturm? Man mag vielleicht (aber auch nur vielleicht) eine „Kurve abflachen“, aber wir bauen gerade eine neue hohe Kurve vor uns auf, zumindest was die Versorgung kranker Menschen ohne Covid 19 angeht.
Wir sehen hier mehr hysterische ängstliche Menschen als Covid 19 Patienten. Im Kollegenumfeld das gleiche.
Vielen meiner Patienten setzt die Situation auch psychisch schwer zu, einerseits aus Angst vor einer Coronavirusinfektion, andererseits aufgrund der Einbrüche im Einkommen (Kurzarbeit).