Mail vom 05.08.2020, 08:58 Uhr:

erst einmal ein riesiges Dankeschön für die investigative mutige Arbeit die Sie leisten!!!!!

Ich möchte zu dem Thema Solounternehmerinnen im Bereich Kunsthandwerk einiges ergänzen:

Ich bin Diplom Designerin im Bereich Schmuck. Ich lebe in Niedersachsen. Ich verdiene mein Geld auf Kunsthandwerkermärkten und Messen und privat organisierten Ausstellungen. Für dieses Jahr hatte ich an 17 Wochenenden ein Event, dafür hatte ich mich beworben und die Zusagen waren da. Von diesen 17 Ausstellungen/ Märkten sind 15 ersatzlos gestrichen, 2 stehen noch mit Fragezeichen. Der eine soll Ende November in Kiel in der alten Pumpe stattfinden. Da dort Kurzarbeit stattfindet, ist nicht klar ob es diesen Veranstaltungsort im November noch geben wird… Auch andere Veranstaltungs- und Kulturorte stehen vor dem aus.

Ich war lange in der Künstlersozialkasse, bin dann ausgetreten aus beruflichen Gründen, da ich 10 Jahre therapeutische Arbeit gemacht habe. Vor 8 Jahren habe ich mich wieder als Künstlerin niedergelassen und habe heute keine Chance mehr in die KSK rein zu kommen, wurde 2 mal abgewiesen als Diplom Designerin. Diese Institution ist eine Farce und dort findet nur noch Bestandsschutz statt. D h das nicht nur ich sondern viele meiner Kolleginnen und Kollegen nie eine Rente bekommen werden, da wir bis vor 2 Jahren noch mindestens 400 Euro Krankenversicherung bezahlt haben (ist mittlerweile halbiert..) und von dem was wir verdienen nie genug übrig war um in irgendeinen Rententopf ein zu zahlen. Mit dem Wissen leben wir also schon lange. In Niedersachsen, ein Bundesland mit Schwerpunkt Landwirtschaft, gab es keine Soforthilfe für uns, nur wenn wir Betriebskosten geltend machen konnten. Ich habe mal durchgezählt: von den 12 Kollegen die mir als erstes einfielen hat keiner eine Werkstatt oder ähnliches, alle (!) arbeiten zu Hause. Somit fallen wir durch das Raster.

Vor anderthalb Wochen fand ein Krisengespräch statt mit unserem Oberbürgermeister in Lüneburg, geladen waren Künstler und Kunstschaffende.

Die Veranstaltung war ebenfalls ein Witz. Geladen wurde über einen Miniartikel in der Lokalzeitung, wir wurden nicht persönlich informiert. ich habe gleich unseren internen Verteiler genutzt und alle informiert. Es kamen etwa 50 Kollegen. Was nicht klar im Artikel stand, war das nur wer sich vorab schriftlich per Mail angemeldet hatte, durfte rein. Etliche standen vor der Tür und wurden abgewiesen, das Argument war die Registrierungspflicht wegen Corona…

Eine Dame von der ARGE hielt eine salbungsvolle Rede über das verkürzte Verfahren zur Grundsicherung für Solounternehmer. Ein Sänger stand auf und erzählte das er seit 35 Jahren selbständiger Solounternehmer sei und seine Berufssparte als „besonders“ gefährlich eingestuft würde, er darf überhaupt nicht auftreten. Sein Antrag war genau der gleiche wie ehedem, keinerlei Verkürzung oder Erleichterung. Er sagte wörtlich „die Antragstellung war länger als der Roman Krieg und Frieden“. Er fragte den OB direkt welche Möglichkeiten es noch gäbe. Unser OB zuckte die Schultern und sagte nur „ich möchte Sie trotzdem ermutigen Ihren Antrag auf Grundsicherung ein zureichen, da haben Sie ein Anrecht drauf“…

Er hat dann das Hamburger Modell in Aussicht gestellt, also eine einmalige Hilfe von €2000,- für alle die in der KSK sind. Daraufhin stand ich auf und wies drauf hin das kaum eine Töpferin, junge Goldschmiedein, Schneiderin, Papierkünstlerin usw usw überhaupt noch in die KSK aufgenommen würde, somit also diese Hilfe wieder nicht greift da wo sie so dringend gebraucht wird. Daraufhin er: „ach stellen Sie trotzdem einen Antrag, wir schauen dann was geht…“.

Ich habe Glück, ich habe einen Ehemann der noch was verdient, aber ich habe etliche Kollegen wo beide Partner als Solounternehmer tätig sind. Das Elend das sich da abspielt, ist beispiellos!

Ich stehe gerne Rede und Antwort, ich möchte wirklich auf die dramatische Situation der KunsthandwerkerInnen hin weisen, die überhaupt nicht wahr genommen werden. Viele sind nicht in der Lage sich eloquent so zu wehren, wie Ihre beiden Kandidaten im Gespräch.

Was wir leisten ist ein Teil Kultur und Tradition dieses Landes. Das geht kaputt, wird nicht gesehen.

 

Verzweifelt: T.